Tradition

Pommersche Backkultur seit 1888

Vor 130 Jahren kam Urgroßvater Rudolf Reichau – Jahrgang 1863 – als Wandergeselle in eine Bäckerei im Nachbarort Mönkebude. Der in Bromberg (heute Bydgoszcz) Geborene verlor sein Herz an Minna Böhm, eine Lehrerstochter aus Grambin. Das Fischerdorf mit etwa 500 Einwohnern liegt auf einer schmalen Landzunge zwischen dem Stettiner Haff und dem Fluss Zarow. Als das erste Kind geboren war, baute Rudolf Reichau auf Büdnerland der Dorfschaft Grambin – am heutigen Standort des Familienbetriebes – ein Wohnhaus mit Backstube und Verkaufsraum.

Am 1. Oktober 1888 startete der 25-Jährige einen Mischbetrieb aus Bäckerei und Kolonialwarenhandel sowie Landwirtschaft mit Kühen, Schweinen, Schafen und Weideland. 1895 kostete ein Grambiner Landbrot 50 Pfennig.

Nach einigen Jahren starb Minna Reichau. Ihre jüngere Schwester trat an Rudolfs Seite. Sie führte die Bäckerei nach dessen Tod mit ein oder zwei Gesellen über den Ersten Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise 1929 hinaus.

Am 1. April 1939 übernahm Fritz Reichau – Jahrgang 1906 – das gut gehende Geschäft. Es war damals eine von drei Bäckereien in Grambin. Die Reichaus lieferten zu jener Zeit bereits ihre Backwaren per Pferdewagen in Ueckermünde aus. Nachdem der Geschäftsinhaber zur Wehrmacht aufgrund des Zweiten Weltkrieges eingezogen wurde, sorgte Ehefrau Meta für den erfolgreichen Weitergang der Bäckerei. Als ihr Mann in den 1960er Jahren erkrankte, übernahm Rudolf Reichau – Jahrgang 1937 – mit Ehefrau Dora die Bäckerei.

Wir können uns noch gut erinnern, wie schwierig damals ein Familienhandwerksbetrieb am Leben zu erhalten war: „Wir bekamen weniger Rohstoffe, als wir brauchten. Ständig bildeten sich Schlangen vor unserem Laden in der Dorfstraße. Die Kunden brachten eingewecktes Obst für die Torten, die wir backen sollten, ins Geschäft. Nur durch große Anstrengungen schafften es Rudolf und Dora Reichau, den Familienbetrieb zu DDR-Zeiten aufrecht zu erhalten.“

Nach der Wende erlernte Jörg Reichau 1990 – 1992 den Bäckerberuf in Berlin, verbesserte anschließend seine Kenntnisse und Fertigkeiten durch das Lernen in verschiedenen Großbäckereien in der Hauptstadt und kehrte 1995 in den elterlichen Betrieb nach Grambin zurück. Nach der Meisterausbildung an der Bäckerfachschule Dresden schlug Jörg Reichau am 1. April 1998 als vierter Chef in der Unternehmensgeschichte ein neues Kapitel auf und übernahm zusammen mit seiner Ehefrau Marlies die Bäckerei. Investitionen in die Produktionsstätte standen dringend an und so wurde 1998 bis 1999 die Backproduktion rekonstruiert, die Backfläche verdoppelt und ein Mehlsilo sowie andere Neuerungen angeschafft. Heutzutage ist es wichtig, sich den ständig wechselnden Marktsituationen anzupassen, flexibel und innovativ zu sein, sowie einen guten Draht zu seinen Kunden zu haben.

Frühjahr 2018